Geboren in der ehemaligen DDR und die ersten 6 Jahre meines Lebens auch dort aufgewachsen.
Ich kenne es letztendlich aber nur von den Geschichten meiner Eltern und Oma… Wer kann sich denn heutzutage noch vorstellen sich an eine meterlange Schlange anzustellen ohne zu wissen was es eigentlich gab. Vielleicht mal ein paar Orangen oder Kinderhosen. Aber dann nur pro Kind ein Teil. Einfach mal in den Urlaub fliegen? Das ging nicht. Einen Platz an der begehrten Ostsee zu ergattern war schon Luxus und für viele ein 6er im Lotto!
Auf meinem Lehrplan stand diese noch sehr junge Geschichte Deutschlands leider nicht. Beziehungsweise haben es meine Lehrer nie geschafft, über den zweiten Weltkrieg hinauszukommen, um dann wieder mit dem Mittelalter und der Französischen Revolution zu starten. Diese beiden Themen durfte ich glatt dreimal beackern. Ich hoffe dass Schüler heutzutage mehr über die Geschichte des 20. Jahrhunderts lernen dürfen. Denn ich muss mir das mühsam selbst erarbeiten, jetzt wo ich mich dafür interessiere.
Statt dicke Bücher zu wälzen, entschied ich mich aber dafür der ganzen Thematik live und vor Ort zu begegnen Und das geht natürlich am besten in Berlin.
Meine 5 Sightseeing-Tipps für einen geschichtsträchtigen Besuch in Berlin:
I Gedenkstätte Hohenschönhausen
Auf keinem Stadtplan zu finden, war die zentrale Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit (Stasi) in der DDR von 1951 bis 1989 in Betrieb. Hier wurden hauptsächlich politische Gefangene inhaftiert, isoliert und verhört.
Heute ist es eine Gedenkstätte, die seit 1992 unter Denkmalschutz steht und von einer Stiftung verwaltet wird. Besichtigen kann man die Anlage nur mit einer knapp 2-stündigen Führung. Ich hatte das Glück einen der vielen Zeitzeugen als Referenten kennenzulernen und durch ihn nicht nur die Geschichte des Gebäudes zu hören, sondern auch seine ganz eigene.
Lutz wurde 1967 verhaftet, weil er ein SED-Parteiplakat von einer Hauswand riss. Bei der daraufhin folgenden Inhaftierung in Hohenschönhausen und der vielen Verhöre wurde er wegen „Staatsverleumdung und staatsgefährdender Hetze“ verhaftet und saß einen Großteil seiner 16 monatigen Haft in Hohenschönhausen ab.
Erst 3 Tage nach seiner Inhaftierung wurden seine Eltern per Post informiert, dass er in Haft ist. Allerdings nicht wo und warum. Eine Sprecherlaubnis erhielt er erst nach 3 Monaten.
Dass besonders die Verhöre und psychische Folter einen großen Stellenwert im Regime hatte zeigt, dass auf knapp über 100 Zellen 120 Verhörzimmer kamen. Zusätzlich wurden die Gefangenen schikaniert, durch regelmäßiges Wecken in der Nacht oder Wechsel der Zimmertemperatur. Lutz selbst durfte zwar seine Kleidung, die er am Abend seiner Inhaftierung trug, behalten, aber diese wurde während seiner gesamten Zeit in Hohenschönhausen weder gewaschen noch gewechselt.
Ich kann jedem nur empfehlen sich einmal die Zeit zu nehmen und eine der täglich mehrmals stattfindenden Führungen mitzumachen. Um aus erster Hand zu sehen und zu hören was im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen in Berlin vor sich ging.
II Checkpoint Charlie
Sicherlich neben dem Brandenburger Tor selbst eine der Hauptattraktionen, wenn es um die deutsche Teilung in Berlin geht. Der wohl bekannteste Grenzübergang, welcher während 1961 und 1990 allerdings nur von alliierten Militär- und Botschaftsangehörigen, Ausländern und DDR-Funktionären genutzt werden durfte.
Unschöne Berühmtheit erlang Checkpoint Charlie auch durch die spektakulären Fluchten und Fluchtversuche, welche zum Teil auch tödlich endeten.
Heute steht an dieser Stelle die Nachbildung der ersten Kontrollbaracke, inkl. Sandsäcke und Schauspieler, welche in US-Uniform und Flagge für die Touristen posieren. Hier wird es geduldet, in anderen Berliner Bezirken wird gegen die „Touri-Abzocker“, die natürlich Geld für ein Foto verlangen, allerdings vorgegangen. Die Schauspieler bezeichnen sich allerdings selbst als Künstler, die nur Spenden sammeln. Das Modell kenne ich aus L.A. wo am Chinese Theater Spiderman, Hulk, Superman, Mickey Maus und Co. darauf warten Geld für ein Foto zu kassieren. An dieser Stelle muss man selbst wissen, ob man so etwas unterstützt und ob einem ein Foto das Geld wert ist.
Viel interessanter ist sicher das Mauermuseum direkt am Checkpoint Charlie. Hier sieht man Fotografien und Fragmente der Trennung Deutschlands.
III Berliner Unterwelten e.V. – Mauerdurchbrüche
Schon lange plane ich endlich mal eine der Führungen des Vereins Unterwelten e.V. zu besuchen. Da ich mehr über die DDR-Geschichte erfahren wollte, stand schnell fest, dass ich die Tour M „Mauerdurchbrüche“ mitmachen wollte.
Hier ein kleiner Tipp: Stellt Euch gleich halb 10 morgens (zumindest am Wochenende!) an, um mit zu den ersten zu gehören. Denn die Karten kann man nicht vorher kaufen, sondern nur am Tag der Besichtigung.
In den zwei sehr kurzweilige Stunden erfährt man vieles über die verschiedenen und vielfältigen Fluchtversuche, die während der deutschen Teilung 1961 bis 1989 unternommen wurde. Hierbei wurden zuerst die Kanalisationsanlagen genutzt, bis diese entdeckt wurden. Danach folgten über 70 Tunnelprojekte, welche allerdings zum Großteil durch Verrat und Spionage entdeckt wurden.19 Fluchten waren allerdings erfolgreich und über 300 DDR Bürger gelangten vom Osten nach West-Berlin.
Während der Tour erfährt man unter Tage, die Geschichten dieser mutigen Menschen, die einem so großen Leidensdruck ausgesetzt waren, dass sie nur die Flucht sahen. In der Bernauer Straße, der mit sieben Tunneln als Brennpunkt des Tunnelbaus anzusehenden 350m kurzen Strecke, gelangt man noch einmal in den Untergrund. In der ehemaligen Brauerei wird von weiteren Geschichten berichtet, unter anderem den erfolgreichsten und spektakulärsten Projekten „Tunnel 29“ und „Tunnel 57“. Die Zahl gibt an, wie vielen Menschen durch diese Tunnel die Flucht gelang. Auch kann man hier einen maßstabsgetreuen Tunnelnachbau besichtigen und anhand vieler Fotografien in der Zeit zurückreisen.
Die 2-stündige Tour war unheimlich interessant und faszinierend. Was Menschen auf sich nehmen, um aus ihrem eigenen Land zu fliehen, sollte uns gerade in der heutigen Situation nicht unwichtig sein.
Danke auch an den Verein, der mir einen Teil der Bilder zur Verfügung gestellt hat, da man während der Tour nicht filmen oder fotografieren darf.
IV East Side Gallery
Zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße befindet sich direkt entlang der Spree das längste noch erhaltene Teilstück der Berliner Mauer. Es wurde direkt nach Öffnung der Berliner Mauer von 118 Künstlern aus 21 Ländern bemalt.
Einige der Bilder sind weltweit bekannt und speziell nach dem Bruderkuss von Dimitri Wrubel habe ich gesucht und ihn dann auch gefunden.
Leider war das Wetter an dem Sonntag komplett verregnet, so dass ich mich nicht so lange dort aufgehalten habe.
V DDR Museum
Wer etwas mehr zum Alltag in der ehemaligen DDR lernen möchte, sollte auf jeden Fall das DDR Museum auf der Museumsinsel gegenüber vom Dom besuchen. An einem verregneten Sonntag nachmittag hatte ich so ziemlich den schlechtesten Zeitpunkt für einen Besuch gewählt, denn es war stark überfüllt. Trotzdem ist es ein tolles Museum, da es interaktiv ist!
Verschiedene Themen werden hier verarbeitet. Zum Beispiel Einkauf, Mode, Urlaub, Partei, Bildung, Arbeit etc. Es gibt sehr viel zu erleben. Man kann im Trabi-Simulator fahren, sich in ein typisches Ost-Wohnzimmer aus der Zeit setzen, in Kleiderschränke stöbern oder ein Verhör erleben.
Alles ist optisch eingebettet in eine inszenierte Plattenbausiedlung im Maßstab 1:20. Da werden doch direkt Erinnerungen wach, denn meine Kindheit habe ich auch in der Platte verbracht.
Bis Ende März 2015 gab es noch ein Restaurant welches typische DDR Speisen angeboten hat. Schade, dass dieses im Rahmen der Erweiterung der Ausstellungsfläche aufgegeben wurde. Im großen Shop am Ende der Ausstellung bekommt man neben den typischen Berlin Souvenirs auch DDR-Produkte, wie die Plastik-Eierbecher und auch viel passende Literatur. Auch DDR-Koch- und Backbücher sind dabei. Was die „alten Rezepte“ betrifft halte ich mich aber lieber an das handgeschriebene Buch, welches meine Oma mir mal geschenkt hat. Mit all den Familienrezepten.
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Ich hoffe Euch hat der Beitrag gefallen und Ihr konntet nützliche Sightseeing-Tipps für den nächsten Berlin-Tripp bekommen. Und an alle Berliner – Sightseeing in der eigenen Stadt wird viel zu oft vernachlässigt 🙂
Seid Ihr auch gern mal „geschichtlich“ unterwegs?
Danke für diesen sehr informativen Beitrag! Die Unterwelten hab ich mir auch schon auf den Plan geschrieben!
Ich war zur Wende schon ein wenig älter (12) und kann mich noch gut erinnern, wie meine Mama, meine Oma und ich uns eines morgens zu noch nachtschlafender Zeit in eine lange Schlange einreihten, weil es Stunden später Champignons gab. Aber nur 1 Tüte pro Person! 😀
Das DDR-Museum in Berlin hat mich persönlich enttäuscht. Ich empfehle eher einen Besuch in Prora auf Rügen. Das dortige Museum (viel NVA aber auch Alltag) ist riesig, über mehrere Etagen und man braucht mehrere Stunden, wenn man wirklich alles genau anschauen will. Und allein das Gebäude und seine Geschichte sind sehr interessant.
Kann man jedenfalls gut mit nem Rügen-Urlaub verbinden 😉
Und der direkt dort befindliche Kletterwald ist der Beste, in dem ich jemals war! ;))
LG Monique
Danke für den Tipp!
Ein sehr spannender Beitrag! Bei uns in der Schule haben wir leider auch nie etwas über die Nachkriegszeit und die DDR gelernt, was ich irre schade finde. Schnatterinchen und Pittiplatsch habe ich als Kind sehr geliebt 😀 Ich war bei den letzten Berlin-Reisen gar nicht mehr auf Sightseeing-Tour. Das sollte ich vielleicht beim nächsten Mal wieder gut machen 🙂
Hallo Claudia,
ich hatte in der Schule das Thema nicht nur einmal – am Ende sogar noch ein ganzes Semester lang vorm Abi. Als einziges „greifbares“ Thema neben russischer und französischer Revolution haben wir Berlin besucht, u.a. auch Hohenschönhausen. Für den nächsten Trip empfehle ich dir das Stasi-Museum, dort hatten wir ebenfalls zwei sehr interessante Zeitzeugen, die viel zu berichten wussten!
Viele Grüße
Danke für diesen spannenden Beitrag! Das Thema DDR wird, warum auch immer, leider immer noch stark vernachlässigt in der Schule. Ich hatte Geschichte als Profilfach(=LK) und wir hatten damit auch Zeit, das zu behandeln, für diejenigen, die im GK waren, war allerdings auch nach dem Zweiten Weltkrieg Schluss.
Ich bin im Urlaub auch gerne „geschichtlich unterwegs“, allerdings studiere ich auch Geschichte, damit ergibt sich das fast von selbst. 😀
Die Touren der Berliner Unterwelten sind tatsächlich sehr gut und informativ. Ich habe selbst einmal die Tour in den Flakturm Humboldthain mitgemacht – ebenfalls sehr empfehlenswert! Deine Tour könnte ich mir bei meinem nächsten Berlin-Besuch auch sehr gut vorstellen!
Liebe Grüße
Ein toller Beitrag!
Mir ging es wie dir, ich wurde 1991 eingeschult und habe nur noch wenige Erinnerungen an die DDR-Zeit, das meiste weiß ich nur von meinen Eltern. In der Schule kam das Thema nur bis zur Errichtung der Mauer vor und ich glaube, viele jüngere Menschen wissen überhaupt nichts mehr über die beiden getrennten deutschen Staaten.
Danke für deine Übersicht, vielleicht bekommt ja der ein oder andere Leser Lust darauf, etwas mehr über die Geschichte zu erfahren!
LG, und dir einen schönen Freitag,
OktoberKind 🙂
Wir waren im Februar in der Gedenkstätte hohenschönhausen und hatten auch das Glück von einem Zeitzeugen da durch geführt zu werden.(ein anderer als bei dir)
Ich fand die Geschichte sehr ergreifend und hatte des Öfteren einen Kloß im Hals.
Kann jedem empfehlen dort mal eine Führung mitzumachen
Toll, dass ihr es gemacht habt! Ja, das kann man wirklich nur jedem empfehlen!